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C.2 | „Das Schulkind von heute ist der Gemeinde- und Staatsbürger von morgen“.
Schulpolitische Umbrüche und Katholischsein in Rheinland-Pfalz in den ausgehenden 1960er und frühen 1970er Jahren

Kißener, Michael / Markus Raasch – Mainz / Kleinehagenbrock, Frank / Kösters, Christoph – Bonn

Bildung und Erziehung in der Schule sind seit dem 19. Jahrhundert Gegenstand kontroverser politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Das traf insbesondere für die Frage zu,
ob und inwieweit die staatliche Volksschule konfessionell gebunden sein sollte. Die Reformen im Bildungswesen, die seit Mitte der 1960er Jahre in ganz Deutschland offensiv in Gang gebracht wurden, riefen folglich in den Bundesländern mit überwiegend katholischem Bevölkerungsanteil in hohem Maße Verunsicherung und Streit hervor: Innerhalb des dynamischen Wandels von Gesellschaft und Kirche drohte mit dem Ende der Konfessionsschule zugleich eine wesentliche Stütze des katholischen Milieus eingerissen zu werden. Die Akteure von Staat und Kirche waren gefordert, nach tragfähigen Kompromissen zu suchen.

Das Projekt untersucht diesen politisch wie zivilgesellschaftlich hochbedeutsamen Prozess der Anverwandlung des Katholischseins am Beispiel von Rheinland-Pfalz. Dabei steht die landesweite Einführung der „Christlichen Gemeinschaftsschule“ 1970 nicht unter den Aspekten programmatischer Schul- und Bildungspolitik im Zentrum. Vielmehr interessiert die Frage, wie Männer und Frauen in Kultuspolitik und Kirchenführung, aber auch katholische Lehrer und Eltern, sowohl in internen Gesprächen wie öffentlichen Debatten damit begannen, den besonders stark empfundenen Wandel tradierter gesellschaftlicher Ordnungen und katholischer Lebenskultur neu zu deuten und in ihren alten Erfahrungshorizont zu implementieren. Das Interesse richtet sich dabei auf den schulpolitischen Diskurs von Befürwortern und Gegnern an der Spitze (Kultusminister Vogel, Katholisches Büro in Mainz) wie an der Basis (Gewerkschaften, Verbände der Lehrer und Lehrerinnen, Elternorganisationen, Priester und Pfarreien) und deren Echo in den Medien.

Das Projekt verfolgt die These, dass es in Rheinland-Pfalz gelang, die Konflikte in hohem Maße ausgleichend zu moderieren, die aus der Modernisierung von Schule und Bildung für ein gewandeltes Verständnis von Katholischsein entstanden. Dass der Staat die katholische Kirche darin unterstütze, selbst „katholische“ Schulen (in sogenannter „freier Trägerschaft“) zu errichten, war dabei von nicht unerheblicher Bedeutung. Erst ein Vergleich, der in einem Folgeprojekt mit den Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt werden soll, dürfte zeigen, ob und inwiefern der Wandel in Rheinland-Pfalz als paradigmatisch gelten kann.