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Tagungsbericht - "Die Dynamik des Religiösen in Prozessen des Politischen"

Dynamik des Religiösen in Prozessen des Politischen

März 2022: Wir blicken auf eine erfolgreiche Tagung mit dem Münsteraner Excellenzcluster zurück, die trotz widriger Umstände durch eine Offenheit in den Begegnungen und fruchtbare Diskussionen geprägt war.


Dienstag, 8. März ­– Donnerstag, 10. März 2022, Tagungshotel Schloss Montabaururg

Die Dynamik des Religiösen in Prozessen des Politischen


Eine ausführlichere Version dieses Tagungsberichtes von Melissa Marquart und Josef Schmitt finden Sie bei H-Soz-Kult, 09.05.2022, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-9408.


Im Gegensatz zu Amerika und Osteuropa sieht sich das Christentum in Westeuropa mit einem Bedeutungsverlust konfrontiert, der durch die Wahrnehmung der Kirchen als Refugium von Traditionalismus zementiert wird. Die Autoritätskrise, die durch die nur schleppend voranschreitende Missbrauchsaufarbeitung entstanden ist, verstärkt diesen Prozess. Die Corona-Pandemie hat seit nunmehr zwei Jahren viele andere gesellschafts- und kulturpolitische Debatten in den Hintergrund gedrängt. Das gilt auch für Fragen des sozialen Zusammenlebens, die beeinflusst werden durch die Praxis und Wahrnehmung von Religion. Diese Fragestellungen sind für die Mitglieder des Exzellenzclusters und der DFG-Forschungsgruppe von zentraler Bedeutung, sodass eine Tagung mit diesen Schwerpunkten zur passenden Zeit gekommen schien. Der erste Tagungsteil gliederte sich in inhaltliche Panels und einen Abendvortrag. Vor allem Aspekte des religiösen Wandels in modernen Gesellschaften, der Einfluss von Religion auf die soziale Lebenswirklichkeit oder die Vernetzung religiöser Akteur*innen mit politischen oder sozialen Gruppen wurden thematisiert.

Den Auftakt der Tagung bildete ein Panel über die Veränderung des katholischen ‚Milieus‘ nach dem II. Vatikanischen Konzil. Als mögliche Erklärungsansätze für die Veränderung des katholischen ‚Milieus‘ wurden die Säkularisierungsthese und das Transformationsparadigma mit seiner konzeptionellen Offenheit für Dynamiken des Religiösen und daraus hervorgegangenen diversifizierten Sozialformen des „Katholischseins“ diskutiert. Als Einwand wurde angeführt, dass ein zu starrer Fokus auf ein Wandel-Paradigma Kontinuitäten jedoch verdecken könne. Das Verquicken von Wandel und Kontinuität und die dadurch aufgedeckten Widersprüchlichkeiten seien typisch für plurale Gesellschaften.

Das zweite thematische Panel befasste sich mit Theologie als einer Form sozialer Praxis. Das Panel diskutierte den Beitrag der universitären Theologie zur sozialen Praxis und den Verlust der Prägekraft des Dogmas. Als ein Kennzeichen der Entwicklung von katholischer Theologie kann die veränderte Buß- und Beichtpraxis seit den 1960er Jahren angesehen werden. Kirchliche Lehren schienen ihren dogmatisch verpflichtenden Charakter verloren zu haben. Transformationen des Katholischen waren dabei vor allem durch Aushandlungsprozesse zwischen sozialer Praxis und dogmatischen Ideen bedingt worden. Zudem wich der Verlust an interkonfessioneller Differenz in diesem Zeitraum insbesondere einem Bedeutungszuwachs von innerkonfessionellen Problemen. Die Entstehung einer ökumenischen Theologie nach dem II. Vatikanum trug jedoch zur wechselseitigen Vertrauensbildung zwischen den Konfessionen bei.

Die kurzfristige Absage Ute Freverts für den Abendvortrag führte zu einer Umplanung des Programms, sodass in einem Abendvortrag ein emotionsgeschichtlicher Zugang zur Katholizifmusforschung geboten wurde. Anhand der Enzyklika Humanae Vitae wurde verdeutlicht, wie die katholische Kirche ein sogenanntes „emotional regimezur Kontrolle der Gläubigen aufbaute, das sich durch die Angst vor dem ungewollten Kind auszeichnete. Der Versuch, ein vermeintlich moralisch richtiges Verhalten zu erzeugen, führte zu einer Distanzierung von Teilen der Gläubigen von der katholischen Kirche. Während die Enzyklika von 1968 eine Austrittswelle in Gang setzte, formierte sich in den 1970er Jahren eine katholische Gegenbewegung, die vor allem von Jugendlichen getragen worden war

Ein weiteres thematisches Panel widmete sich Fragen von Religion und Politik. Gesellschaftliche Reformen konfrontierten den Katholizismus in den 1970er Jahren mit erheblichen Problemen, die eine Neuorientierung bedingten. Teile des deutschen Katholizismus reagierten dabei mit einer Öffnung nach links und hoben dabei die Ideen der Befreiungstheologie hervor. Mit der Polarisierung der Gesellschaft in dieser Zeit ging ebenso eine Polarisierung des Glaubens einher. So vollzog sich eine Hinwendung von Teilen der katholischen Gläubigen zu den neuen sozialen Bewegungen wie der Friedens- oder Umweltbewegung. Im Zuge dieser Neuausrichtung etablierten sich spezifische Praktiken wie das Beten oder Fasten für den Frieden. Eine Politisierung des Glaubens war die Konsequenz dieser Prozesse, die in den 1980er Jahren ein neues katholisches Umwelt- und Schöpfungsbewusstsein hervorbrachten.

Nach dem thematischen Tagungsteil begann mit dem methodischen Austausch die zweite Hälfte der Tagung. In einzelnen Panels wurde über die Bedeutung von Gender, Emotionen und Generationen als spezifischer Forschungszugang diskutiert. Diese Zugänge wurden jeweils vor dem Hintergrund einzelner Projekte reflektiert und mit der Vorstellung ausgewählter Inhalte verknüpft. Im Podium Recht und Religion diskutierten die Panelisten das Verhältnis von Staat und Kirche, insbesondere mit Blick auf das deutsche Staatskirchenrecht.

Insgesamt blicken wir auf eine erfolgreiche Tagung mit dem Münsteraner Excellenzcluster zurück, die trotz widriger Umstände durch eine Offenheit in den Begegnungen und fruchtbare Diskussionen geprägt war.